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Die Störerhaftung des BGH: Wann hafte ich überhaupt?

Betroffene von Abmahnungen wegen Filesharings berichten in der Beratung häufig, dass sie nicht selbst den Ihnen vorgeworfenen Verstoß begangen haben.

Exemplarisch sollen folgende typische Beratungskonstellationen genannt werden:

  1. Nicht ich selbst als Anschlussinhaber habe die mir vorgeworfenen Urheberrechtsverletzung begangen, sondern mein 16 jähriger Sohn ohne mein Wissen
  2. Ich lebe in einer WG, mein WG-Mitbewohner hat die Urheberrechtsverletzung ohne mein Wissen begangen
  3. Ein Bekannter, der während unseres Urlaubs mein Haus hütete, hat  gegen meinen Willen den Computer verwendet und die mir als Anschlussinhaber vorgeworfene Urheberrechtsverletzung begangen
  4. (Sehr häufig): Ich habe die mir vorgeworfene Urheberrechtsverletzung nicht begangen, jedoch ist mir aufgefallen, dass ich einen ungeschützten W-LAN Anschluss hatte

In all diesen Fällen stellt sich naturgemäß die rechtliche Frage, inwieweit der Anschlussinhaber dennoch auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann. Vorab ist zu sagen, dass die diesbezügliche Rechtsprechung tendenziell zu einer Haftung des Anschlussinhabers nach den sog. Grundsätzen der Störerhaftung des BGH neigt. Die Schwierigkeit der Störerhaftung liegt im Detail, so dass es diesbezüglich immer einer Einzelfallbetrachtung bedarf.

Die allgemeine Störerhaftung des BGH

Der Störerbegriff findet im deutschen Recht in mehreren Bereichen seine Grundlage. So ist die Störerhaftung im Verwaltungsrecht als auch im Zivilrecht (z. B. § 1004 BGB) anerkannt. Insbesondere im Internetrecht finden die Grundsätze der Störerhaftung Anwendung. So hat der BGH in einer wegweisenden Entscheidung aus dem Jahre 2004 die Störerhaftung abstrakt wie folgt definiert (BGH I ZR 304/01; dort S. 18):

„Störer ist derjenige, der ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und  adäquat zur Verletzung eines geschützten Rechtsgutes beiträgt und kann daher als Störer für eine Schutzrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden."

Diese zugegebenermaßen sehr juristische Formulierung bedeutet nichts anderes, als dass auch grundsätzlich derjenige auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, wer die Urheberrechtsverletzung in irgendeiner Weise gefördert hat, ohne dies selber in Person getan  oder positiv hiervon Kenntnis gehabt zu haben.

Auf den ersten Blick erscheint diese weite Definition für die Annahme einer Haftung erschreckend. Daher schränkt der BGH diese Definition dahingehend ein, indem er sagt (BGH I ZR 304/01; dort S. 19):

„Weil die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist"

Es kommt also auf die Einhaltung oder Verletzung von Prüfpflichten des Anschlussinhabers an. Diese Prüfpflichten sind vergleichbar mit denen aus dem allgemeinen Zivilrecht bekannten Verkehrssicherungspflichten. Befreit ein Grundstücksinhaber beispielsweise den vor seinem Haus befindlichen Bürgersteig im Winter nicht vom Schnee, und kommt es daher zu einem Sturz eines Passanten, so haftet der Grundstücksinhaber, obwohl er nicht unmittelbar in Person zu dem Sturz des Passanten beigetragen hat.

Die Störerhaftung des BGH in Bezug auf das Filesharing

Überträgt man nun die Grundsätze der allgemeinen Störerhaftung auf die Problematik des Filesharings, so wird deutlich, dass es für die Frage der Haftung auf Unterlassung entscheidend auf die Einhaltung der oben genannten Prüfpflichten ankommt. Fest steht allerdings zunächst, dass der Anschlussinhaber durch die Unterhaltung eines Internetanschlusses eine grundsätzliche Gefahrenquelle für die Begehung von Urheberrechtsverstößen verursacht hat. Ob der Anschlussinhaber jedoch die ihm durch die Rechtsprechung des BGH auferlegten Prüfpflichten tatsächlich verletzt hat, ist alleine eine Frage der richterlichen Wertung.

Im Zuge dieser Rechtsprechung des BGH hat sich bzgl. des Filesharings eine mehr oder minder umfangreiche Judikatur herausgebildet, die allerdings nicht einheitlich ist. Im Folgenden soll daher ein kurzer Überblick über die Rechtsprechung gegeben werden:

Haftung für Dritte, insbesondere Kinder, Ehepartner, Mitbewohner

Hinsichtlich der Verwendung von Internetzugängen durch Jugendliche hat das Landgericht Frankfurt a. M. (MMR 2007, 804, 805), das LG Köln (CR 2008, 184, 185 f), sowie das LG Hamburg (MMR 2006, 700) entschieden, dass eine Haftung des Anschlussinhabers dann bestehe, wenn Anschlüsse durch Jugendliche benutzt werden. Das Überlassen eines Internetzugangs an Dritte schaffe dabei grundsätzlich die erhöhte Gefahr einer Urheberrechtsverletzung. Nach dieser Rechtsprechung wird insbesondere den Eltern auferlegt, Ihre Kinder regelmäßig zu überwachen und auf die bestehenden rechtlichen Gefahren des Filesharings hinzuweisen, andernfalls liege fahrlässiges Verhalten durch die Eltern vor, was eine Haftung begründe.

In einem anderen Urteil des LG Mannheim zu dieser Frage, hat dieses geurteilt, dass Eltern nicht per se für Ihre Kinder in diesen Fällen haften (LG Mannheim, Urteil v. 30.01.2007, Az. 2 O 71/06). Entscheidend sei hierbei der Entwicklungsstandes des Kindes und die Frage, inwieweit eine Überwachung abhängig vom Alter der Kinder auch in anderen Betätigungsfeldern notwendig ist. Auch für den Ehepartner sowie andere Mitbewohner sei eine ständige Überwachung nicht zumutbar. Dieser Ansicht haben sich im Übrigen auch das Landgericht München I (7 O 2807/07) sowie das OLG Frankfurt (11 W 58/07) angeschlossen.

KRITIK:

Dieser Ansicht muss im Ergebnis auch zugestimmt werden. Die Rechtsprechung des LG Frankfurt und des LG Hamburg läuft faktisch auf  eine pauschale Bejahung der Störerhaftung in den oben genannten Fällen hinaus und entspricht nicht den Vorgaben des BGH. Zwar ist einzuräumen, dass es der Störerhaftung immanent ist, dass sie verschuldensunabhängig ist. Die Annahme, dass die alleinige Verfügbarkeit eines Internetanschlusses schon die Gefahren einer Urheberrechtsverletzung begründet – und damit mit den Worten des BGH adäquat und kausal zu dem Verstoß beiträgt – genügt nach der Rechtsprechung des BGH jedoch gerade nicht für die Begründung der Störerhaftung. Hierzu ist vielmehr Voraussetzung, wie der BGH auch einige Zeilen später einräumt, die Verletzung von Prüfpflichten des Anschlussinhabers hinsichtlich seiner Angehörigen und Mitbewohner notwendig. Erst wenn dieser Beweis geführt ist, kann eine Störerhaftung möglicherweise auch mit den Grundsätzen des BGH angenommen werden.

Sonderfall: ungesichertes W-LAN

Auch im Fall von ungesicherten W-LAN Netzwerken ist sich die Rechtsprechung uneins.

Bei der Verwendung eines ungesicherten WLAN Netzwerkes ist die Haftungsfrage ähnlich. Hier haben das LG Hamburg (MMR 2006, 763, 764) und das LG Mannheim (MMR 2007, 537 f.) in zwei Entscheidungen eine Haftung grundsätzlich bejaht (MMR 2006, 763, 764). Auch das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass der Anschlussinhaber verpflichtet ist, Sicherungsvorkehrungen vorzunehmen (Az I-20W 157/07).

Lediglich das OLG Frankfurt hat eine Haftung abgelehnt, da es in diesen Fällen den Haftungsrahmen für zu weit erachtet hat. Allerdings räumt auch hier das Gericht ein, dass nach einem ersten Zugriff durch Dritte, entsprechende Schutzmaßnahmen zu erfolgen haben (Az 11 U 52/07). Voraussetzung sei demnach, dass sich dem Anschlussinhaber  gewisse Indizien aufdrängen müssten, dass ein Missbrauch vorliegt. Insbesondere bedürfe es auch bei unverschlüsselten W-LAN Netzwerken einer konkreten Verletzung von Prüfpflichten.

Kritik: Auch hier ist der letzten Ansicht zuzustimmen. In den Abmahnschreiben der bekannten Kanzleien wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Gefahren von ungesicherte W-LAN Netzwerken aufgrund der Medien und der landläufigen Kenntnis der Bevölkerung hinlänglich bekannt sind. Die Beratungspraxis zeigt indes ein anderes Bild. Vielen Internetnutzern sind diese Gefahren grundsätzlich noch nicht bekannt. Auch die Rechtsprechung des LG Hamburg, des LG Mannheim und des OLG Düsseldorf verkennen die Grundsätze der Störerhaftung des BGH. Entscheidend ist daher auch im Falle von ungesicherten W-LAN Netzwerken, dass Prüfpflichten verletzt werden, da eine andere Sichtweise zu einer uferlosen Ausweitung der Störerhaftung führt, die der Sache sicherlich nicht gerecht wird.

Die uneinheitliche Rechtsprechung zeigt, dass keine verbindlichen Regeln für die Frage der Haftung bestehen. Es läuft daher  auf eine Einzelfallbetrachtung hinaus, so dass jede Abmahnsituation genau geprüft werden muss, was in der Regel die Einholung fachlich juristischen Rates erfordern wird.

Aus Klarstellungsgründen sei darauf hingewiesen, dass die Tatsache eines rechtmäßigen gegen den Abgemahnten bestehenden Unterlassungsanspruchs nicht gleichzeitig bedeutet, dass die in der Abmahnung geltend gemachten Schadensbeträge auch geleistet werden müssen. Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche müssen hierbei streng voneinander unterschieden werden. Dazu mehr im Ratgeber 3: Die Unterscheidung der in einer Abmahnung geltend gemachten Ansprüche (noch in Bearbeitung und folgt in Kürze).

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